Selbstverwaltete Gemeinschaften sind an die Stelle von Staaten und Konzernen getreten, und sie sind auf einem guten Weg, die Schäden der fossilen Ära rückgängig zu machen. Doch dann tauchen Außerirdische auf, die unsere Zivilisation retten wollen – vor unserem eigenen Planeten, den sie für zu gefährlich halten…

Stell dir vor, die Welt in 50 Jahren hat sich zum Besseren verändert: Nationalstaaten und Konzerne, die die Hauptverantwortung für die Klimakatastrophe tragen, wurden entmachtet und zurückgedrängt; an ihrer Stelle sind basisdemokratisch verwaltete, regionale Gemeinschaften getreten. Letztere arbeiten seit Jahren daran, die angerichteten Schäden an unserem Ökosystem wieder zu reparieren. Doch dann bekommt die Erde Besuch von Außerirdischen, die nur ein Ziel haben: die Menschheit von ihrer Existenz auf einem ihrer Meinung nach sterbenden Planeten zu befreien und ihnen den Weg ins All zu ebnen – notfalls auch gegen deren Willen. Diese abgefahrene Situation ist der Ausgangspunkt für „A half-built garden“.
Wer will eigentlich ins All?
Judy und Carol leben mit ihrer Familie in Chesapeake Bay – einer selbstverwalteten Region in der Nähe von Washington, D.C. Ihr Leben wird auf den Kopf gestellt, als Vertreter:innen einer außerirdischen Kultur namens Ringer in der Nähe ihres Hauses notlanden; weil die beiden zufällig als erste vor Ort sind und auch noch ein Kind bei sich tragen (Kinder sind in der Ringer-Gesellschaft ein Zeichen von Macht und werden daher auch zu jeder Verhandlung mitgebracht), werden sie unverhofft zu Ansprechpersonen für die Menschheit. Schnell wird deutlich, dass die Ringer, die in künstlichen Habitaten im All leben, nicht viel vom Leben auf einem Planeten halten – ihrer Meinung nach sind Planeten zu unzuverlässig und gefährlich, und sie wollen die Menschheit überzeugen, die Erde zu verlassen.
Das wiederum kommt für die Menschen von Chesapeake Bay nicht infrage – schließlich haben sie die letzten Jahrzehnte damit verbracht, die Erde wieder lebenswert zu machen und eine symbiotische Verbindung zum Planeten aufzubauen. Andere Fraktionen der Menschheit sind dem Angebot allerdings nicht so abgeneigt – allen voran die Konzerne, die, ihrer Macht beraubt, inzwischen nur noch auf künstlichen Inseln walten dürfen. Diese sehen die Ankunft der Außerirdischen als Chance, um zu alter Größe zurückzukehren und im All unendliche Ressourcenquellen und Absatzmärkte zu finden.
Autonome Gemeinschaften
Die Welt, in der Carol und Judy leben, lässt sich am ehesten beschreiben als „gerade nochmal die Kurve gekriegt“. Die Schäden am Ökosystem und die daraus resultierenden, regelmäßigen Naturkatastrophen wie Tornados und Überflutungen sind immens – aber das Gleiche gilt auch für die Anstrengungen der Menschheit, diese wieder in Ordnung zu bringen und in der Zwischenzeit eine gerechte und demokratische Gesellschaft aufzubauen.
Das Leben in Chesapeake Bay ist relativ idyllisch. Carol und Judy wohnen mit ihrer Wahlfamilie, zwei Kindern und einem Hund in einem eigenen Haus; sie haben viel Zeit für Care-Arbeit, zum Obst einwecken und kochen; und die Arbeit, die sie für die Gemeinschaft leisten ist sehr selbstbestimmt, nicht als Lohnarbeit organisiert (es gibt aber keine Details zu Ressourcenzugängen innerhalb der Gemeinschaft), und Menschen definieren sich nicht mehr über die Arbeit, die sie primär machen. Viele Produktionsprozesse wurden regionalisiert, aber es gibt auch immer noch globalen Austausch (sowohl von Ideen als auch von gewissen Gütern) und gegenseitige Hilfe zwischen den Gemeinschaften.
Der Prozess, in dem Staaten und Konzerne konkret entmachtet wurden, wird im Buch immer nur angedeutet. Judys Eltern gehören zur Generation der sogenannten Löwenzahn-Revolution, sind alte Aktivist:innen und deuten immer mal wieder an, wie stark sie für den heutigen Status Quo kämpfen mussten. Tatsächlich sind weder Staaten noch Konzerne aus der Welt – sie sind aber im Leben der meisten Menschen einfach nicht mehr so relevant, weil die Gemeinschaften in vielen Fragen starke Autonomierechte haben (manche Menschen aus der Gemeinschaft arbeiten allerdings noch punktuell für Konzerne; und auch wenn viele das nicht mögen, scheinen diese Einkommensflüsse zu wichtig zu sein, um sie komplett zu verbieten).
Die Netzwerke von Chesapeake Bay
Vielleicht lautet die relevantere Frage auch nicht, wie Konzerne und Staaten entmachtet wurden, sondern wie es den Gemeinschaften gelingen konnte, genügend Macht von unten aufzubauen, um ihre Autonomierechte zu verteidigen. Wenn wir den im Solarpunk inhärenten Anspruch, Macht- und Hierarchiestrukturen abzubauen, ernst nehmen, brauchen wir dafür neue robuste Modelle zur Entscheidungsfindung, die sowohl effizient als auch inklusiv sind.
Emrys hat hier eine wunderbare Vision entwickelt: Der heimliche Star der Geschichte sind nämlich die Online-Netzwerke, über die die Gemeinschaften konstant kollektive Entscheidungen treffen. Die Gemeinschaft hat die ihrem Netzwerk zugrunde liegenden Algorithmen über Jahre so trainiert, dass sie ihre Werte widerspiegeln und Diskussionen und Abstimmungen immer leicht in diese Richtung lenken, statt Individualinteressen, Panik oder kurzfristige Vorteile zu priorisieren. Sie machen im Grunde also das genaue Gegenteil heute existierender Sozialer Netzwerke.
Judy hadert zwar stark damit, ihre Region aufgrund der dringlichen Umstände als Einzelperson vor den Ringern repräsentieren zu müssen; aber die Netzwerke geben ihr Rückhalt, versorgen sie mit Informationen, holen Stimmungsbilder der Bewohner:innen zu kritischen Fragen ein und unterstützen sie so im Prozess, indem sie ihr ein kontinuierlich erneuertes, kritisch begleitendes Mandat für die Verhandlungen geben. Sie agiert nicht als Individuum, sondern hat ihre Gemeinschaft in digitaler Form bei bzw. hinter sich.
Dies wird umso deutlicher, als die Netzwerke an einer Stelle aufhören zu funktionieren: Judy fühlt sich orientierungslos und abgeschnitten, auf sich selbst zurückgeworfen. Sie ist es gewohnt, ihre Gemeinschaft (und auch die sie umgebende Natur, in Form von kontinuierlichen Datenströmen) bei sich zu wissen, und die Vereinzelung macht ihr stark zu schaffen. Die Netzwerke sind eine wunderbare Form, Gemeinschaft und Kollektivität zu schaffen, ohne als Individuum zu sehr eingeengt zu werden; und sie geben einen Eindruck davon, wie ermächtigend Soziale Netzwerke sein könnten – wenn sie nicht von profitgetriebenen Konzernen kontrolliert werden würden.
Sorgearbeit in Wahlfamilien
Ein weiterer Aspekt, in dem sich A half-built garden wohltuend vom sonstigen Sci-Fi abhebt, ist die Darstellung von Familienleben und Care-Arbeit. Judy und Carol leben zusammen mit ihren Mit-Eltern, zwei Kindern und einem Hund in einer queeren Wahlfamilie; auch Judys Eltern wohnen in Kommune-ähnlichen Strukturen. Offenbar ist die Kleinfamilie in dieser Zukunft nur eine Option unter vielen geworden. Und dadurch, dass die Kinder noch sehr jung sind (und weil Elternschaft in der Ringer-Kultur so eine wichtige Größe ist), nimmt Sorgearbeit im Roman eine zentrale Rolle ein, statt wie so oft unsichtbar gemacht oder an den Rand gedrängt zu werden. Kinder müssen eben regelmäßig gewickelt, getragen oder gestillt werden – diese Bedürfnisse können auch dann nicht warten, wenn man gerade intergalaktische Abkommen verhandelt. Außerdem ist es wunderbar zu lesen, wie die Kinder der verschiedenen Spezies Vertrauen und Verbindungen aufbauen, während ihre Eltern noch in Misstrauen und Intrigen verstrickt sind.
A half-built garden ist insgesamt ein wunderbarer Einblick in eine solidarische, nachhaltige und selbstverwaltete Gesellschaft – tatsächlich ist es in dieser Hinsicht mit die überzeugendste Vision, die ich kenne (den Besuch der Außerirdischen mal ausgeklammert). Das Buch steckt voller kleiner und großer kluger Details, die diese Welt lebendig werden lassen. Leider ist es bisher noch nicht auf Deutsch erschienen – ich hoffe sehr, dass es bald übersetzt wird!
3 Gedanken zu “„A half-built garden“ von Ruthanna Emrys”