Die Transformationstheorie hinter der Solarpunk-Bewegung beruht auf der Idee, dass die Geschichten, die wir uns erzählen, reale Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft haben. Aber stimmt das überhaupt?
Ich glaube ja! Diese Art von Einfluss ist zwar sehr schwer zu messen (wie überhaupt vieles, was Soziale Bewegungen betrifft, kaum in Zahlen ausgedrückt werden kann); aber es gibt durchaus einige historische Beispiele, in denen Bücher oder Filme Soziale Bewegungen angestoßen oder gestärkt haben. Diese haben wiederum erfolgreich für gesellschaftlichen Wandel gekämpft, der das Leben unzähliger Menschen besser gemacht hat.
„Die Wolke“ von Gudrun Pausewang (1981)
Atomenergie wurde lange als Heilsbringer gefeiert und kaum hinterfragt. Das Reaktorunglück 1979 auf Three Mile Island an der US-Ostküste änderte dies – zumindest in Teilen der entstehenden Umweltbewegung. Gudrun Pausewang nahm die Beinahe-Katastrophe zum Anlass, eine Geschichte über ein ähnliches Szenario für ein deutsches Kraftwerk zu schreiben.
1986 schmolz dann der Kernreaktor in Tschernobyl, und die bis dahin zumeist nur theoretisch diskutierten Gefahren der Atomenergie bekamen ein sehr anschauliches Alltagsbeispiel. Pausewangs Jugendbuch fand eine immer stärkere Verbreitung und prägte als Schullektüre das Umwelt- und Politikverständnis einer Generation.
Die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland ist oft ein klassisches Beispiel für eine politisch erfolgreiche Bewegung – schließlich schaffte sie es, den endgültigen Atomausstieg 2017 zu forcieren. 2023 ging der letzte Reaktor vom Netz, und die Wolke hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen.
„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim (1971)
Als dieser Film mit dem etwas sperrigen Titel Anfang der siebziger Jahre veröffentlicht wurde, war Homosexualität in der Bundesrepublik erst seit kurzem nicht mehr strafbar; schwules Leben war stark marginalisiert und wurde von vielen als unnormal und abartig gesehen. Der Film zeigt Lebensausschnitte von Schwulen in Westberlin zwischen Identitätssuche und Angst vor dem Coming-Out, und er war bei seiner Ausstrahlung 1972 im WDR der erste Film im bundesdeutschen Fernsehen, in dem sich zwei Männer küssten. Zudem war er mitverantwortlich dafür, dass die Bezeichnung schwul sich zu einer selbstbewussten Eigenbeschreibung wandelte (das Wort schwul, das bis dahin oft eher als Beleidigung benutzt wurde, wird im Film über hundert mal in positiven Kontexten verwendet).
Nach seiner Veröffentlichung gründeten sich in kurzer Zeit bundesweit über 70 Gruppen und Vereine, die die Basis für die Schwulenbewegung (und später auch die LGBTIQ+-Bewegung) bildeten. Errungenschaften wie Adoptionsrechte, die Ehe für Alle, der dritte Geschlechtseintrag und viele weitere wären ohne diese Bewegungen nicht zustande gekommen.
„Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe (1851)
Die Abolitionsbewegung zur Abschaffung der Sklaverei war zwar bereits sehr aktiv, als Harriet Beecher Stowe ihren Roman veröffentlichte. Trotzdem sind die Auswirkungen immens, denn die bis dahin noch kleine Bewegung erhielt mit den Erfolgen der Buchverkäufe dramatischen Zuwachs. Die Geschichte, aus der Perspektive schwarzer Sklav:innen erzählt, führte vielen Menschen auf eindrückliche Weise das Unrecht dieses Abhängigkeitsverhältnisses vor Augen.
Letztendlich mussten die Sklavenhalter:innen in den Südstaaten erst in einem Bürgerkrieg besiegt werden, bevor die Sklaverei endgültig abgeschafft werden konnte. Abraham Lincoln soll später bei einem Treffen mit Stowe gesagt haben: „Das ist also die kleine Dame, die diesen großen Krieg begonnen hat.“
Fazit
Neben diesen drei Beispielen gibt es noch viele mehr, die reale politische Prozesse angestoßen haben. Nicht alle von ihnen sind wünschenswert; auch in reaktionären Bewegungen gibt es gefeierte und prägende Romane. Ein Beispiel ist Ayn Rands „Atlas wirft die Welt ab“, der als Loblied auf Individualismus und Egoismus die neoliberale Ideologie der siebziger Jahre unterstützt hat.
Und auch die bisher einflussreichste Erzählung aller Zeiten – die Bibel – hat zwar über 2000 Jahre Menschen hinter einer Idee vereint und ihnen Hoffnung gegeben, aber in dieser Zeit auch viele Gräueltaten der Kirche ermöglicht.
Die Geschichten, die wir uns erzählen, haben immensen Einfluss auf den Lauf der Welt – aber dieser Einfluss ist oft unsichtbar. Es wird Zeit, diese Macht bewusst im Sinne einer emanzipatorischen Zukunft zu nutzen!

Ein Gedanke zu “Die Kraft von Solarpunk-Geschichten”