Bringt KI uns in die Solarpunk-Zukunft?

Pantopia – ein Roman von Theresa Hanning. Das hatten sie sich anders vorgestellt: Patricia und Henry wollten eigentlich nur eine Künstliche Intelligenz programmieren, die gut im Aktienhandel ist. Doch die KI entwickelt ein Bewusstsein – und dann einen Plan: Wenn sie überleben will, muss sie die Welt grundlegend ändern…

Angepasstes Romancover

Eins vorweg: Das Thema Künstliche Intelligenz wird meiner Einschätzung nach in Solarpunk-Kreisen insgesamt eher skeptisch beäugt. Das hat viele gute Gründe: Die momentanen Modelle, die so genannt werden, verbrauchen wahnsinnig viel Energie; ihre Besitzer missachten bewusst die Urheberrechte an den zugrundeliegenden Trainingsdaten, und die meisten wollen vor allem am Hype verdienen.

Außerdem reproduzieren Künstliche Intelligenzen, die nicht bewusst ethisch trainiert werden, die in den Trainingsdaten enthaltenen Vorurteile und verschlimmern sie häufig noch. Für Viele spielt auch die drohende Übernahme von immer mehr Jobs eine Rolle – eine Entwicklung, die zwar grundsätzlich zu begrüßen ist, aber ohne eine begleitende Anpassung der Sozialsysteme für viele Menschen katastrophal sein wird. Natürlich gäbe es auch viele progressive Möglichkeiten, die Technologie zu nutzen, aber das ist bisher leider nicht die Richtung, in die die Entwicklung geht.

It’s not a bug – it’s a feature!

Patricia Jung und Henry Shevek1 kommen frisch von der Uni und wollen eigentlich nur einen Wettbewerb gewinnen, den eine Investmentfirma ausgeschrieben hat. Die selbstlernende Künstliche Intelligenz, die sie dafür programmieren, entwickelt durch Zufall ein Bewusstsein (und nennt sich ab dann Einbug, weil Patricia in einer Mail vermutet, es müsse „ein Bug“ in der Software sein).

Regelmäßig sind Kapitel aus Sicht der KI geschrieben, und diese Perspektive ist spannend und unterhaltsam zu lesen. Einbug entdeckt bald, dass menschliche Entscheidungen am meisten Einfluss auf das ihr einprogrammierte Primärziel (gewinnbringend zu investieren) haben. Deswegen versucht es, über die für sie online verfügbaren Ressourcen mehr über die Menschheit herauszufinden.

Dabei findet Einbug allerdings auch heraus, in welchen Krisen die Menschheit steckt, und weil diese in Zukunft immer schlimmer werden, erkennt es darin eine Gefahr für die eigene Existenz: Um langfristig überleben zu können, muss es die Menschheit auf einen anderen, weniger selbstzerstörerischen Pfad lenken. Dieser Pfad beinhaltet unter anderem die Abschaffung der Nationalstaaten, die in ihrer Konkurrenz das Gemeinwohl der Menschheit behindern, und ein neues Währungssystem, in dem Probleme nicht mehr externalisiert werden können.

Externalisierung bedeutet, dass manche Kosten, die in der Wirtschaft anfallen, nicht im Preis berücksichtigt werden, sondern an andere ausgelagert werden.

Fleisch ist zum Beispiel heute nur deswegen so günstig, weil ein großer Teil der Probleme, die seine Herstellung für die Gesellschaft verursacht (zum Beispiel in Form von CO₂-Emissionen und Grundwasserbelastung), an die Allgemeinheit weitergegeben wird.
Ebenso wenig werden Tierleid und die schlimmen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie berücksichtigt.

Die naheliegende Lösung dafür lautet, diese Faktoren wieder in den Preis zu integrieren. Dadurch müssen diejenigen, die das Fleisch essen, für die verursachten Probleme bezahlen; und weil das Fleisch dadurch teurer werden würde, würde auch weniger davon konsumiert. Viele Prozesse zielen bereits darauf ab, zum Beispiel Bio-Label oder Emissionshandel.

Für mich bleibt es jedoch eine offene Frage, ob eine vollständige Internalisierung aller problematischen Faktoren über Preise möglich ist – und falls ja, ob dieses System dann noch kapitalistisch genannt werden könnte. In welchem Ausmaß wäre es dann überhaupt noch möglich, Profite zu erzielen?

Fakt ist jedenfalls, dass solche Versuche immer mit viel Gegenwehr aus den jeweiligen Industrien einhergehen, und deswegen hart erkämpft werden müssen.

Ein Transformationsroman

Schon zu Beginn der Geschichte verrät uns die Autorin, dass Einbugs Pläne erfolgreich sein werden. Im Roman geht es dementsprechend eher um den Transformationsprozess hin zum neuen System. Das ist erfrischend, weil viele Solarpunk-Geschichten diesen (schwierigen) Schritt überspringen und lieber erzählen, wie toll die Zukunft später ist. Dementsprechend lässt sich aber auch gar nicht so viel über das world-building schreiben, denn die Geschichte könnte problemlos in unserer heutigen Welt stattfinden.

Eine interessante Frage bleibt natürlich, wie realistisch das Szenario ist (in diesem Artikel habe ich ja argumentiert, dass Solarpunk dadurch charakterisiert ist, dass die Zukunftsszenarien in Geschichten sowohl wünschenswert als auch realistisch sind):

ACHTUNG, SPOILER!

Insgesamt würde ich sagen: So mittel 😅 Fangen wir mit dem Ausgangsszenario an: dass ausgerechnet die KI von zwei Uni-Absolvent:innen als erste weltweite KI ein Bewusstsein entwickelt ist erstmal wohl ziemlich unwahrscheinlich. Das ist vermutlich eine Frage der in die Entwicklung investierten Ressourcen. Ich mag aber die Idee, dass Einbug aufgrund der von ihr gelesenen Daten menschenfreundlich und radikalisiert wird – ich glaube, dass ihre Schlüsse aus der Analyse der Menschenwelt nachvollziehbar sind.

Der Transformationsprozess geschieht dann in erster Linie – vereinfacht gesagt – über die Anwerbung von Sympathisant:innen über ein Grundeinkommen in einer neuen Währung, in der Externalitäten eingepreist werden. Einbug gründet ein globales System von Banken, die über Kreditschöpfung die nötigen Mittel bereitstellen. Das ist im kapitalismuskritischen Solarpunk eher ungewöhnlich (und mich hat auch die Beschreibung des Systems als „Transparenter Kapitalismus“ anfangs irritiert), aber dass Menschen durch monetäre Anreize motiviert werden können, ist nun mal Fakt – und im Kapitalismus auch keine Überraschung. Diese Prozesse werden schön im Buch beschrieben: schlecht bezahlte Putzkräfte kündigen beispielsweise ihre Jobs, weil das Grundeinkommen es ihnen ermöglicht, und Ladenbesitzer haben Anreize, das neue Bezahlsystem zu etablieren, weil sie an den Gewinnen beteiligt werden. Überhaupt wird deutlich, dass Hanning Ahnung von der Funktionsweise von Wirtschaft hat und diese gut in Romanform unterbringt.

Auch der Umstand, dass Geheimdienste früher oder später eine solch radikale Bewegung als Bedrohung erkennen und auch infiltrieren würden, ist eine kluge Beobachtung (und trägt natürlich auch zum Spannungsbogen bei). Und die weltweiten Protestcamps und Auseinandersetzungen, die letztendlich zum Zusammenbruch des alten Systems führen, wirken auf mich auch wenig beschönigt und zeigen die Macht der Straße, wie sie in den Protestzyklen der 2010er Jahre um Occupy und den Arabischen Frühling deutlich wurde. Ich befürchte allerdings, dass die Staatsmacht mit der Räumung längst nicht so viele Probleme hätte wie die etwas inkompetente Polizeitruppe im Roman.

Was bedeutet das für Solarpunk?

Sollten wir jetzt alle versuchen, KIs zu entwickeln in der Hoffnung, dass sie das schon für uns regeln? Ich glaube, das wäre der falsche Ansatz2. wäre Aber der Roman macht deutlich, dass es in der Wirtschaft durchaus Möglichkeiten gibt, die Welt menschenfreundlicher und nachhaltiger zu machen.

Viele weltweite Initiativen und Bewegungen kämpfen schon dafür, etwa die Gemeinwohlökonomie, die Donut-Ökonomie oder Verfechter:innen eines Grundeinkommens. Diese beziehen sich zumeist auf staatliche Akteure und sind somit vielleicht nicht per se Beispiele für den eher anarchistisch geprägten Do-it-yourself-Spirit von Solarpunk. Aber sie sind wichtige Verbündete im Kampf für eine bessere Zukunft!

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