The Free People’s Village

Sim Kerns The Free People’s Village ist ein poetisches Porträt einer Gemeinschaft, die ihre Träume nicht aufgeben will. Dieses Werk verbindet die utopische Vision des Solarpunks mit den rauen Realitäten sozialer Ungleichheit und der Klimakrise und schafft so eine packende und tiefgründige Erzählung.

Grundsätzlich will ich auf diesem Blog vor allem Romane vorstellen, die auf Deutsch verfügbar sind. Aber es immer mal wieder Geschichten, die bisher nicht übersetzt wurden, aber für mich wichtige Kerngedanken von Solarpunk treffen – dann mache ich eine Ausnahme. Die Protagonistin von Free People’s Village ist Maddie Ryan, einer jungen weißen Lehrerin im Houston der 2020er Jahre. Nach der Arbeit hängt sie in einem alternativen Zentrum ab und spielt dort Gitarre in einer Punkband. Als das Gelände für ein Bauprojekt geräumt werden soll, beschließen die Bewohner:innen des Stadtviertels es zu besetzen und die Räumung zu verhindern. Maddie wird mit der Macht von Großkonzernen, rassistischer Polizeigewalt und ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert, lernt aber auch ihre eigene queere Identität, engagierte Menschen und eine solidarische Gemeinschaft kennen.

Nicht alles, was grün ist, glänzt auch

Kern gelingt es meisterhaft, die großen Fragen unserer Zeit in den Mittelpunkt zu stellen. Wie können wir Systeme überwinden, die auf Ausbeutung basieren? Wie können wir Hoffnung und Gemeinschaft in einer Welt voller Zerstörung aufbauen? Gleichzeitig bleibt die Geschichte tief menschlich und berührend, da sie Maddies persönliche Kämpfe und ihr Streben nach Zugehörigkeit erforscht.

Die Geschichte spielt in einer fiktiven Gegenwart, in der Al Gore die US-Präsidentschaftswahl 2000 gewonnen hat und die US-Gesellschaft im Sinne eines Green New Deals umgebaut hat. Ein zentraler Konflikt im Roman ist daher die Spannung zwischen staatlich-ökologischer Politik und sozialer Gerechtigkeit. Kern zeigt, dass technologische Lösungen allein nicht ausreichen, um die Klimakrise zu bewältigen. Vielmehr können „grüne“ Projekte, die nicht auf die Bedürfnisse marginalisierter Gemeinschaften eingehen, sogar bestehende Ungerechtigkeiten verschärfen.

Im Buch wird dies durch den Gegensatz zwischen wohlhabenden, grünen Vorzeigeprojekten und der grassierenden Armut und Verdrängung in benachteiligten Vierteln deutlich. Die Frage, wie eine nachhaltige Zukunft geschaffen werden kann, ohne diejenigen zurückzulassen, die ohnehin am meisten unter den Folgen der Klimakrise leiden, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Diese Reflexion verleiht der Handlung zusätzliche Tiefe und Aktualität.

Liebenswerte Gemeinschaft

Die Menschen in Maddies Umfeld sind empathisch beschrieben, extrem divers im Hinblick auf Geschlechter, Sexualität und race. Sie versuchen in einer katastrophalen Welt nach ihren Idealen zu leben, sich gegenseitig zu unterstützen und ihr Stadtviertel zu beschützen. Die Darstellung der Gemeinschaft fühlt sich authentisch an, voller Konflikte, aber auch voller Wärme und Solidarität.

Kerns Schreibstil ist lebendig und fesselnd. Die Beschreibungen der Stadtlandschaft, die zwischen Verfall und Hoffnung schwankt, schaffen eine dichte Atmosphäre. Gleichzeitig vermittelt die Autorin ein tiefes Verständnis für die politischen und sozialen Kämpfe, die unsere Gegenwart prägen.

Aktivistische Innenansichten

Ein weiteres faszinierendes Element des Romans ist Kerns intensive Darstellung der Gemeinschaft von Aktivist:innen. The Free People’s Village zeigt die Spannungen innerhalb einer Bewegung, in der unterschiedliche Ansichten über die besten Strategien zum Widerstand aufeinanderprallen. Während einige Mitglieder der Gemeinschaft auf friedlichen Protest und Appelle an die Öffentlichkeit setzen, sehen andere Sabotage und direkte Aktionen als unverzichtbare Mittel, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen und Veränderungen zu erzwingen. Auch der Konflikt zwischen Basisdemokratie und Führung sowie Übergriffe und Drogenprobleme innerhalb der stetig wachsenden Besetzung spielen eine Rolle.

Kern schildert diese Konflikte mit viel Feingefühl und vermeidet einfache Antworten. Stattdessen zeigt der Roman, wie komplex, anstrengend und emotional aufreibend es sein kann, für eine gerechtere Welt zu kämpfen. Diese Auseinandersetzungen verleihen der Geschichte zusätzliche Authentizität und machen sie zu einem tiefgründigen Einblick in die Dynamik sozialer Bewegungen (werden aber an einigen Stellen auch zu etwas holpriger Zeigefinger-Pädagogik, wenn einige Figuren linke Theorie rezitieren).

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