Sisyphus war Solarpunk

Sisyphus war der Sage nach ein griechischer König. Er wurde von den Göttern mit der Aufgabe bestraft, einen Stein auf einen Berg hochzuschieben; aber immer, wenn er fast oben angekommen war, rollte der Stein wieder herunter, und er musste von vorne anfangen. So ähnlich fühlt sich Engagement für eine bessere Welt auch oft an. Egal, wie viel mensch tut – es gibt ständig Rückschläge, und die Arbeit ist nie vorbei.

Kein gesellschaftlicher Fortschritt ist davor sicher, wieder zunichtegemacht zu werden. Am Gipfel stehen oft mächtige Menschen, die den Stein mit einem Fußtritt wieder ins Tal rollen. Sie befeuern den Klimawandel, bauen Minderheitenrechte zurück und schleifen die Demokratie. Manchmal rollt der Stein tiefer, als wir gestartet sind.

Solarpunk-Kunst hilft zwar, sich zu motivieren – sie ist wie ein Bild des Gipfels, den wir mit dem Stein erreichen könnten. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass heute lebende Menschen viel von dieser besseren Welt erleben werden. Dazu laufen zu viele Dinge schief, die Katastrophen sind zu groß.

Und es wird auch nie ein Punkt kommen, an dem die Arbeit getan ist. Gesellschaft verändert sich immer. Die bessere Welt muss ständig neu erkämpft werden. Wir machen das für unsere Nachfahren, oder einfach, weil es richtig ist. Der Stein gehört nicht ins Tal. Der Stein gehört auf den Berg.

War Sisyphus unglücklich?

Aber können wir uns überhaupt sicher sein, dass diese Strafe Sisyphus unglücklich gemacht hat? Was, wenn Sisyphus dabei richtig glücklich war? Nichts trotz, sondern wegen des Steins?

Der französische Philosoph Albert Camus ist mit diesem Gedankenspiel berühmt geworden, Sisyphus als glücklichen Menschen zu betrachten. Ihm zufolge ist eine schwierige Lebensaufgabe wie den Stein hochzurollen (oder eben Engagement für eine bessere Welt) etwas, das ein Menschenleben erfüllt; etwas, das ihm Sinn und Richtung gibt.

Camus hat damit etwas Wichtiges erkannt. In der Psychologie wurde eine Verbindung zu einem höheren Lebenssinn schon länger als Faktor für Zufriedenheit erkannt; und persönlich kann ich auch bestätigen, dass viele Erfahrungen im Engagement zu den besten Augenblicken meines Lebens gehören.

Es fühlt sich großartig an, etwas Schwieriges zu schaffen und Widerstände zu überwinden (selbst wenn es nur von kurzer Dauer ist); das Gefühl, für etwas einzustehen, was einem wichtig ist, und dabei über sich hinauszuwachsen, ist im wahrsten Sinne des Wortes erhebend.

Viele Menschen, viele Steine

Einen wichtigen Faktor hierfür hatte Sisyphus allerdings nicht: Mitstreiter:innen. Sisyphus war alleine. Und das müssen wir nicht sein. Wir sind Millionen, die an vielen einzelnen Stellen für eine solidarische, nachhaltige und demokratische Welt kämpfen. Wir rollen gemeinsam jeden Tag tausende Steine den Berg hoch, und die mächtigen Menschen auf dem Gipfel haben deswegen keine ruhige Minute und schlaflose Nächte. Selber Schuld. Was haben sie auch auf dem Berg zu suchen?

Ja, es wird weiter Rückschläge geben. Ja, der Stein wird immer wieder herunterrollen. Wir können uns auf ein lebenslanges Workout einstellen, auf Muskelkater, Schweiß und Tränen. Es gibt Schlimmeres. Der Stein gehört auf den Berg.

Hinterlasse einen Kommentar