Gemeinschaftsgärten und die Stadt der Zukunft

Urbane Gemeinschaftsgärten sind aus der Stadt nicht mehr wegzudenken. Aus vereinzelten Pionierprojekten entstand im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte ein Netzwerk von rund 1000 Initiativen. Als erdverbundene Orte haben sie das Potenzial, Stadt wie Gesellschaft grundlegend zu verändern.

Städte wieder lebendig machen

Urbane Gärten bzw. Gemeinschaftsgärten sind nicht nur in Großstädten oder Metropolen zu finden, sondern zunehmend auch in kleineren Städten und auf dem Land. Das kontinuierlich wachsende Interesse an den verschiedenen Formen des Gemeinschaftsgärtnerns verweist darauf, dass wir an einer Bruchlinie stehen.

Mitten im Anthropozän […] einer Zeit, in der überall, in der Stadt und auf dem Land, die Folgen unserer extraktiven und einseitigen Lebensweise unübersehbar werden, wächst bei vielen der Wunsch, Orte zu schaffen, die der Zerstörung und Entwurzelung etwas entgegensetzen, Orte, die der Pflege bedürfen, der Fürsorge, der Aufmerksamkeit und des Engagements, die aber auch vieles wieder ins Lot bringen, weit über die Grenzen des Gartens hinaus: die für Sauerstoff, Kühlung und Schatten, Feuchtigkeit, Bodenqualität, Artenvielfalt sorgen und Menschen ein Gefühl von Erdung und Aufgehoben-Sein bzw. Ankommen-Können vermitteln.

Wir Herausgeberinnen lassen uns von dieser Form des Gärtnerns und den mit ihr verbundenen Orten seit nunmehr einem Vierteljahrhundert begeistern: privat und als Mitarbeiterinnen der anstiftung, die die Entwicklung der Gartenbewegung (viele der Gärten begreifen sich als Teil einer solchen) von den ersten Anfängen an unterstützt hat.

[…] Jetzt werfen wir erneut den Blick auf das urbane Gärtnern, und zwar in der Absicht herauszufinden, wie Stadt und Welt vom Garten ausgehend heute neu gestaltet werden, wie vom Garten aus die Fragen, was uns nährt und ernährt, geklärt werden können, wie mehr Ernährungs- und Umweltgerechtigkeit herzustellen wäre und wie das Verhältnis zu nichtmenschlichen Wesen im Kleinen wie im Großen neu zu verhandeln ist.

Dieses Potenzial urbaner Gärten, Antwort auch auf die großen Fragen geben zu können, war von Anfang an in Ansätzen zu erkennen; heute ist es noch deutlicher sichtbar. Gemeinschaftlich zu gärtnern ist nicht zuletzt ein Antidot gegen Pessimismus und Niedergeschlagenheit angesichts der Lage, in der sich unser Planet befindet.

Ein Beispiel – Gemüseanbau im Schutz der Fulda

Dass die Stadt Kassel heute Modellkommune für das im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz geförderte Projekt „Urbane Waldgärten“ (urbane-waldgaerten.de) ist,
dafür hat der Essbare Stadt e. V. mit seinem Wald- und Gemeinschaftsgarten Forst-Feld-
Garten den Boden mit bereitet.

Einige der Essbare-Stadt-Projekte sowie weitere urbane Gärten befinden sich im Schutz der Fulda im Kasseler Osten. Als Überschwemmungsland ist die Fuldaaue unbebaubar. Die ansässigen Gartenprojekte brauchen also keine Vertreibung zu fürchten, deshalb treten sie hier auch gehäuft auf: der fast 40 Jahre alte Gemeinschaftsgarten an der Blücherstraße, die Solidarische Landwirtschaft „Gärtnerei Fuldaaue“ und der „Selbsternteacker“ – der andernorts „Sonnenacker“ oder in München „Krautgarten“ heißt. Diese Form des Urban Gardening, bei der ein Feld von einem Bauern bestellt, in Parzellen aufgeteilt und an interessierte Städter*innen für eine Saison verpachtet wird, verbreitete sich von Kassel ausgehend in Deutschland.

Dass Gemeinschaftsgärten offene Werkstätten unter freiem Himmel sind, ist inzwischen fast ein Gemeinplatz. Sie generieren immer wieder auch alternative technische Lösungen. Für den seit ca. 40 Jahren bestehenden Blüchergarten im Kasseler Osten gilt das in besonderem Maße. Hier drehen sich – weithin sichtbar – zwei Windräder. Sie sind aus Gebrauchtmaterialien zusammengesetzt, erklärt der gärtnernde Windradbauer Philipp Balcke, und versorgen Lampen, Radio, Rasenmäher, Wasserfasspumpe, Heckenschere, Apfelsaftpresse, Häcksel und Kettensäge, also alles, was man im Garten so braucht, mit dem nötigen Strom.

Der Blüchergarten entstand als Grabegartengemeinschaft schon Mitte der 1980er Jahre und darf somit als Vorläufer der Urban-Gardening-Bewegung gelten. Kurz vor dem Reaktorunfall in Tschernobyl gegründet, stand die ökologische Frage auch hier von Anfang an im Fokus. Ursprünglich ein karger Acker, dann ein Ort der Gemüseproduktion, ist er inzwischen mehr ein sozialökologisches Biotop, von dem die Insekten und die nachbarschaftliche Gemeinsamkeit profitieren.


Bild und Text sind Auszüge aus dem Buch „Unterwegs in die Stadt der Zukunft – Urbane Gärten als Orte der Transformation“. Das Buch steht unter einer CC-BY-SA-Lizenz und ist hier umsonst als Download erhältlich.

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